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Unsere Leitlinien...

Marie Juchacz (1879-1956)
Sozialreformerin
Frauenrechtlerin
Gründerin der AWO
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Pflege? Aber sicher! Aufruf für eine solidarische Pflegevollversicherung

Die Konstruktion der Pflegeversicherung wird den heutigen Herausforderungen
nicht mehr gerecht. Die Pflegeversicherung verfehlt zunehmend ihr originäres
zentrales Ziel – die Verhinderung von pflegebedingter Sozialhilfeabhängigkeit
– und damit ihre Legitimation. Mit Sorge nehmen wir zur Kenntnis, dass
das Risiko, im Falle von Pflegebedürftigkeit von Armut betroffen zu sein, immer
weiter steigt.


Wir fordern daher eine solidarische Pflegevollversicherung, die alle pflegebedingten
Kosten übernimmt – unabhängig davon, ob es sich um stationäre,
teilstationäre oder ambulante Pflege handelt. Sämtliche durch einen unabhängigen
pflegerischen-medizinischen Dienst für bedarfsgerecht erachtete
Pflegeleistungen müssen in vollem Umfang und ohne Eigenanteile vollständig
von den Kassen finanziert werden.


Pflegebedürftigkeit ist inzwischen ein echtes Armutsrisiko geworden: Immer
weniger Menschen können sich die eigene Pflege leisten. Die Eigenanteile
für vollstationäre Pflege haben sich im vergangenen Jahr um 13 Prozent erhöht
und sie steigen weiter. Inzwischen ist fast ein Drittel aller Pflegebedürftigen
in Heimen auf Sozialhilfe angewiesen. Für Pflegebedürftige, die bis zu zwölf
Monate im Pflegeheim versorgt werden, fallen ab Mitte 2023 im Durchschnitt
monatlich rund 2.700 Euro an, die aus eigener Tasche aufzubringen sind. Diese
beinhalten Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionskosten einerseits
und Pflege- und Ausbildungskosten andererseits. Das liegt deutlich über
dem durchschnittlichen Einkommen älterer Menschen. Die Eigenanteile für
ambulante Pflege werden nicht systematisch erfasst. Zur Vermeidung einer
finanziellen Überforderung wird allerdings, so zeigt die Praxis, notwendige
Pflege nicht in Anspruch genommen, wodurch Unterversorgung entsteht.
Eine langfristig wirksame, tragfähige und für alle verlässliche Lösung
bietet einzig eine Vollversicherung in der Pflege: Wenn alle pflegebedingten
Kosten künftig von der Pflegeversicherung übernommen und die Ausbildungskosten
als gesamtgesellschaftliche Aufgabe aus Steuermitteln finanziert
würden – wie im Koalitionsvertrag vereinbart –, halbierten sich die von den
Pflegeheimbewohner*innen selbst aufzubringenden Kosten. Das wäre für eine
große Mehrheit finanziell leistbar.


Die Umsetzung einer Pflegevollversicherung ist eine Frage des politischen
Willens. Berechnungen haben gezeigt, dass beispielsweise mit der Einführung
einer Bürgerversicherung eine Pflegevollversicherung problemlos zu finanzieren
wäre. Insgesamt muss ein großes Stück mehr an Gerechtigkeit hergestellt
werden. 


Die Bundesregierung hat bisher noch keine wirklichen Lösungsvorschläge
präsentiert. Deshalb sind pflegebedürftige Menschen weiter von stark steigenden
Kosten bedroht. Sie müssen Armut fürchten oder auf Pflege verzichten,
weil sie es sich nicht leisten können.
Wir fordern die Bundesregierung dringend zum Handeln auf: Schaffen Sie die
volle Absicherung pflegebedingter Kosten über die Pflegeversicherung!
Berlin, 29. Juni 2023