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Unsere Leitlinien...

Marie Juchacz (1879-1956)
Sozialreformerin
Frauenrechtlerin
Gründerin der AWO
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Aktionswoche Schuldnerberatung „… und plötzlich überschuldet“

Lange Zeit ist es der 37-jährigen Frau S. gelungen, selbst vor engen Freunden und Familie ihre finan­zielle Situation zu verbergen. Als Künstlerin war sie es gewohnt, immer von Auftrag zu Auftrag zu le­ben und hat sich in finanziell engen Situationen mit anderen Gelegenheitsjobs über Wasser halten können. Das hat lange Zeit funktio­niert, bis sie krank wurde.

„… und plötzlich überschuldet“ heißt der Titel der 23. bundesweiten Aktionswoche Schuldner­be­ratung, der unmissverständlich deutlich macht: Überschuldung kann jede/jeden plötzlich und uner­wartet treffen!

Wie die Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, gibt es viele verschiedene Grün­de, warum Menschen in Überschuldungssituationen geraten können. Dazu zählen seit Jahren neben „Trennung, Scheidung, Tod“ (2021: 11,8%) und „Erkrankung, Sucht, Unfall“ (2021: 17,8%) insbesondere die „Arbeitslosigkeit“ (2021: 19,4%) (Schuldneratlas 2021: 60).

Was die Statistiken aber nicht zu zeigen vermögen: Hinter den Prozentzahlen stecken echte Le­bens­­geschichten, individuelle Schicksale, die häufig so vielfältig und komplex sind, dass sie sich nie­mals ausreichend in statistischen Daten ausdrücken ließen. Aus der Praxis wissen wir: Einzelne Gründe und Auslöser treten selten alleine auf, sie sind häufig miteinander verwoben und können dazu führen, dass Menschen unerwartet in eine vermeintlich nicht zu stoppende Überschuldungs­spirale geraten.

 

Dies zeigt auch die folgende Fallbeschreibung.

Lange Zeit ist es der 37-jährigen Frau S. gelungen, selbst vor engen Freunden und Familie ihre finan­zielle Situation zu verbergen. Als Künstlerin war sie es gewohnt, immer von Auftrag zu Auftrag zu le­ben und hat sich in finanziell engen Situationen mit anderen Gelegenheitsjobs über Wasser halten können. Das hat lange Zeit funktio­niert, bis sie krank wurde. „Die Depression kam schleichend, zuerst wusste ich gar nicht, was mit mir los ist und irgendwie habe ich mich auch geschämt“, sagt Frau S. Am Ende habe sie es nicht mal mehr geschafft, an den Briefkasten zu gehen, zu groß war die Angst vor weiteren Gläubigerbriefen. Frau S. kommt heute mit ihrer Mutter in die Beratung, die seit einigen Jahren im Ausland lebt und nun bei ihrem Besuch erst erkannte, wie schlecht es ihrer Tochter wirklich geht. Frau S. ist seit nunmehr 8 Monaten arbeitslos, hat aber keine Sozialleistungen beantragt. Sie sagt, die Depression habe sie einfach handlungsunfähig ge­macht. Inzwischen sind rund 38.000 € Schulden aufgelaufen; davon entfallen alleine auf die Kran­kenkasse 35.000 € in Form von Zahlungs­­­rückständen und Säumniszuschlägen. Die Ver­sicherung hatte den Höchst­satz veranschlagt, da es Frau S. versäumt hatte, Änderungen ihrer wirt­schaftlichen Situation zu melden. Das hat auch dazu geführt, dass Frau S. im Notlagentarif gelandet ist und somit nur noch eingeschränkt versichert ist. Dass man in Deutschland aus der normalen Kran­kenversicherung herausfliegen kann, habe sie gar nicht gewusst, sagt sie. Inzwischen liegt die Forde­rung beim Haupt­zollamt, der Druck wird immer größer. Ihre Erkrankung, das fehlende Geld, um ihren Lebens­unter­halt zu bestreiten, geschweige denn ihre Schulden zu begleichen, die ständigen In­kasso­schreiben und die Sorge, wie es heute, aber auch in Zukunft weitergehen soll – für Frau S. erscheint die Lage aussichtslos.

Seit dem Erstgespräch sind inzwischen etwa 6 Monate vergangen und vieles hat sich geändert. Nach­dem wir uns gemeinsam darum gekümmert haben, schnellstmöglich Sozialleistungen zu be­antragen und eine ambulante Be­treu­ung vermittelt haben, konnten wir uns dem eigentlichen Thema Schulden zuwen­den. Frau S. hat mit Hilfe ihrer Mutter Briefe geöffnet, gesichtet und sortiert. Wir haben eine Gläubigerliste erstellt und ausführlich über die Wege der Schuldenre­gu­lie­rung ge­sprochen. Von der Möglichkeit, durch ein Insolvenzverfahren aus der Überschuldung heraus­­zu­kommen, hatte Frau S. schon gehört und in Abwägung ihrer Situation entschied sie sich letztlich dazu, diesen Weg gehen zu wollen. Heute geht es ihr auch gesundheitlich wieder besser. Die Perspektive, den Schuldenberg in 3 Jahren endlich loszuwerden, wieder finanziell neu beginnen zu können, haben ihr nicht nur eine große existenzielle Sorge genommen, so Frau S., sondern ihr auch die die Kraft gegeben, sich ihrer Krankheit zu stellen.